14.05.2012 /
Politisches Buch / Seite 15
Im Dienst des Staates
Rolf Gössner kritisiert in »Geheime Informanten«
Symbiose zwischen Neonazis und Verfassungsschutz
Von
Markus Bernhardt
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Nicht erst seit den Enthüllungen
über das Zusammenspiel der bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste mit dem
militanten Neonazinetzwerk, welches sich rund um die Terroristen des »Nationalsozialistischen
Untergrundes« (NSU) gruppiert hat, wurde deutlich, welche Gefahr von den
Schlapphutbehörden tatsächlich ausgeht. Schließlich sind die fälschlicherweise
als »Verfassungsschutz« bezeichneten Dienste weder durch die kritische Öffentlichkeit
noch durch geheim tagende parlamentarische Kontrollgremien kontrollierbar.
Einer, der bereits seit
Jahrzehnten vor dem gefährlichen Treiben der Inlandsgeheimdienste warnt, ist
der Rechtsanwalt und Publizist Dr. Rolf Gössner, der zugleich Vizepräsident der
Internationalen Liga für Menschenrechte und stellvertretender Richter am
Staatsgerichtshof in Bremen ist. Im Gegensatz zu manchen selbsternannten
Geheimdienstexperten weiß Gössner sehr genau, wovon er spricht. Schließlich
wurde der Bürgerrechtler selbst satte 38 Jahre überwacht und bespitzelt. Nun
hat Gössner sein bereits 2003 erschienenes Buch »Geheime Informanten« aktualisiert
und als E-Book zum Herunterladen im Internet neu aufgelegt. Der Band
dokumentiert die langjährige Symbiose zwischen Verfassungsfeinden und
»Verfassungsschützern« und legt ein brisantes Dossier der kriminellen Karrieren
zahlreicher V-Männer vor. Über sein unkontrollierbares Netz bezahlter und
krimineller V-Leute hat sich der Verfassungsschutz Gössner zufolge fast
zwangsläufig in kriminelle Machenschaften verstrickt, wobei Straftaten geduldet
bzw. indirekt gefördert wurden. Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufe und
Waffenhandel, das sind nur einige der kriminellen Machenschaften, denen sich
V-Leute in der Vergangenheit schuldig gemacht haben, so der Rechtsanwalt.
»Das vielleicht Erschreckendste,
was ich bei den Recherchen zu meinem Buch erfahren mußte, ist, daß der
›Verfassungsschutz‹ seine kriminell gewordenen V-Leute oft genug deckt, systematisch
gegen polizeiliche Ermittlungen abschirmt, um sie weiter abschöpfen zu können –
anstatt sie unverzüglich abzuschalten«, konstatiert Gössner.
Seine Kritik an den staatlichen
Spitzelbehörden äußert der engagierte Bürgerrechtler indes nicht nur auf theoretischer
Ebene. Vielmehr untermalt er diese durch Enthüllungen über das kriminelle
Treiben mancher V-Leute. Ebenso rechnet der Rechtsanwalt mit der
Extremismusdoktrin ab, mittels derer Antifaschisten mit Neonazis gleichgesetzt
werden.
Gössners Buch ist indes auch als
Mahnung vor einem weiteren Abbau von Grund- und Freiheitsrechten zu verstehen.
»Es besteht die Gefahr, daß der Rechtsruck, den wir in Deutschland nicht erst
seit gestern zu verzeichnen haben, auf staatlicher Ebene mit weiteren
autoritären ›Lösungen‹ verstärkt und gefestigt wird«, warnt er.
Trotz der offenkundigen
Verstrickung der Geheimdienste in die militante Naziszene kommt es in der Bundesrepublik
erstaunlicher Weise zu keiner dauerhaften und breiten gesellschaftlichen Debatte.
Gössner hingegen nimmt deutlich Stellung und votiert für eine Abschaffung der
Schlapphutbehörden.
Am Dienstag wird dem Autor für
seine »Bücher und Vorträge, aktuell aber auch als Anerkennung für seinen
Doppelsieg über die NRW-Verfassungsschutzbehörde und das Bundesamt für Verfassungsschutz,
das ihn seit 1970 ununterbrochen – so das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln–‚
unverhältnismäßig und grundrechtswidrig‘ überwachen ließ«, von der Neuen Rheinischen
Zeitung (NRhZ) der »Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik«
verliehen.
Rolf Gössner:
Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des
Staates. Knaur eBook, München 2012, 320 Seiten; Link zum Download für 6,99
Euro: bit.ly/J8XWNC
Aktueller Online-Flyer vom 02.
Mai 2012
Kultur und Wissen
V-Leute des Verfassungsschutzes:
Neonazis im Dienst des Staates
Rolf Gössner: „Geheime Informanten"
Buchtipp von Harry Popow
Nun sind die Teufel endgültig aus
der Flasche: Die Leute vom Verfassungsschutz und ihre geheimen Zuträger. Immer
noch wühlen sie im Neonazi-Spektrum umher. Aufgedeckt Ende 2011 und mit
Schrecken von Politik und Medien zur Kenntnis genommen: Die Neonazi-Mordserie und
die „Zwickauer Zelle“. Die Hüter des Staates und des Grundgesetzes haben - samt
ihren Schnüfflern im Bereich des Rechtsextremismus und der Ausländerfeindlichkeit
- in Deutschland gänzlich versagt. Und das Schlimme: Die angeblich „schützenden
Teufel“ sind nicht so leicht wieder in die Flasche zu bannen.
Jede Menge Erfahrungen mit
"Verfassungsschützern" – Dr. Rolf Gössner (NRhZ-Archiv)
Der Geheimdienst-Experte Dr. Rolf
Gössner, dem die NRhZ am 15. Mai den Kölner Karls-Preis übergeben wird hat dazu
ein Buch geschrieben: „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes:
Neonazis im Dienst des Staates“. Das war im Jahre 2003. Offen, kritisch, warnend.
Und nun haben die ungebändigten Teufel mitsamt ihren bezahlten Killern den
Autor gewissermaßen gezwungen, sein Buch um dreißig Seiten mit einem aktuellen
Prolog zu ergänzen. „Dieses Buch will“, so Gössner, „vor dem Hintergrund (…)
von Neonazis- mus und rechter Gewalt (…) der V-Mann-Problematik im rechten
Sumpf auf die Spur kommen“. Ist es nicht paradox: Der Rechtsanwalt und
Publizist schützt das Grundgesetz und den Rechtsstaat vor den offiziellen
Schützern und ihren bezahlten Handlangern?
Bereits im ersten Teil seiner
Enthüllungen hatte Gössner davor gewarnt, den Informanten des
Verfassungsschutzes in den Reihen rechtsextremer Organisationen und Parteien
freien Lauf zu lassen. Sie seien oft Hasser alles Ausländischen, geldgierig und
extrem gewaltbereit. Im Schutz der Tarnung durch den VS wurden Straftaten
geduldet oder indirekt gefördert: Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufe,
Waffenhandel, Gründung von terroristischen Vereinigungen. Es bleibe nicht aus,
dass der VS selbst in kriminelle Machenschaften verstrickt werde und oft
gezwungen ist, seine Finsterlinge „zwecks strenger Geheimhaltung“ zu decken,
„um sie weiter abschöpfen zu können“. (S. 29) Man rechnete lediglich mit
organisierter Kriminalität, aber nicht mit einem politisch-rassistischen Hintergrund.
(S. 9) Die Verdrängung setze sich bis in die Gegenwart fort, stellt der Autor
fest. (S. 13)
Sein Fazit: Der VS schütze weder
Staat noch Grundgesetz, sondern höhle mitsamt seinen Spitzeln
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wegen der Intransparenz buchstäblich aus.
Der Rechtsanwalt fordert deshalb eine rückhaltlose Aufklärung und endlich
politische Konsequenzen. (S. 7) Er erwägt sowohl die Option der
Reformierbarkeit des offiziellen Staatsschutzes als auch dessen gänzliche
Abschaffung. Man soll die gefährliche Zweisamkeit von Verfassungsschützern und
Verfassungsfeinden beenden. Das diene zugleich dem Schutz des Grundgesetzes.
Bleiben wir bei Ursachen und
Hintergründen dieser geistig-politischen Verworfenheit. Da sei zunächst die
Blindheit zu nennen, so der Autor. Selbst der Bundesinnenminister habe noch
nach dem Doppelanschlag in Norwegen 2011 behauptet, er sehe keine unmittelbare
Gefahr für rechtsextremistische Terroranschläge in Deutschland. (S. 10) Der
Autor hält dagegen: Das sei vor allem „vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte
schockierend“ und angesichts der Tatsache, dass nach der deutschen Wiedervereinigung
150 Menschen von Neonazis und anderen fremdenfeindlichen Tätern umgebracht
wurden. Und nun kommen seit November 2011 mindestens zehn Tote hinzu. (S. 11)
Nicht die Unfähigkeit selbst ist
die Ursache der zahlreichen Pannen bei der Aufdeckung der Gewalttaten, sondern
die „ideologischen Scheuklappen innerhalb der Sicherheitsorgane“, so Rolf
Gössner. Man folge alten Feindbildern, wie dem Linksextremismus, dem Ausländerextremismus
und dem Islamismus. Man ignoriere die Tatsache, „dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
weit hinein in die Mitte der Gesellschaft reichen“, (S. 33) meint der Autor.
Zum Kern der Ursachen des Versagens des Geheimdienstes trifft er auf Seite 46
seines Buches in der Fassung von 2003 folgende Feststellung: Der VS sei ein
Kind des Kalten Krieges zur Absicherung des westdeutschen „Bollwerkes gegen den
Kommunismus“. So erhielt der VS seine streng antisozialistische Ausrichtung bereits
mit ehemaligen Nazis an der Führungsspitze. (S. 48) Im Kampf gegen
„Linksextremismus“ sei die neonazistische Gefahr jahrzehntelang vernachlässigt
worden. Nach dem Kalten Krieg – keine Gedanken daran, die Geheimorganisationen
in Frage zu stellen.
In zahlreichen Fallbeispielen -
sie lesen sich wie Krimis - führt der Autor uns das verkommene Antlitz einiger
„Informanten“ vor, der Schnüffler im Staatsdienst, für deren Gesamtzahl es
keinen Überblick gibt. (Man schätzt etwa 5000.) Ihre Morde, Brandstiftungen und
andere Gewalttaten führt Rolf Gössner namentlich auf, aber auch ihre Motive für
dumpfen Ausländerhass. Von Anhängern des Ku-Klux-Klan ist da die Rede, vom
Traum einer rein arischen Nation, von „Sieg-Heil“-Brüllern, von der „Vormachtstellung
der weißen Rasse“, von der „nationalen Sache“, vom „Kohle machen“, von einer
„rechtsextremistischen Karriere“, von der Losung „Deutsch statt
multikulturell“, von der Verherrlichung Hitlers als Führernatur, von der
Verehrung der Reichskriegsflagge und des Hakenkreuzes. Was der Autor allerdings
auch ins Kalkül zieht, mit Recht: Die zu Hauf anzutreffende persönliche
Perspektivlosigkeit, die Arbeitslosigkeit, und – nicht zu vergessen – die
drückenden Schulden mancher VS-Leute und solcher, die bereits vorbestraft sind und
deshalb willig jede „Schmutzarbeit“ im Verborgenen annehmen und so auch
erpressbar sind.
Rolf Gössner schlussfolgert: „Es
besteht die Gefahr, dass der Rechtsruck, den wir in Deutschland nicht erst seit
gestern zu verzeichnen haben, auf staatlicher Ebene mit weiteren autoritären
´Lösungen´ verstärkt und gefestigt wird.“ (S. 251). Lesenswert ist dieses Buch
besonders für politisch Interessierte, für Leser mit wachem Geist, für Leute,
die in dieser Gesellschaft etwas bewegen wollen und mit Gleichgesinnten nach
Lösungen suchen. Das Buch bildet ebenso einen Damm gegen eine zunehmende
Blauäugigkeit und Wegseh-Mentalität, gegen Verharmlosungen der rechten und gewaltbereiten
Szene, gegen Ausländerfeindlichkeit.
Was bleibt? Der Schleier von der
Symbiose zwischen VS und den Geheiminformanten ist nur wenig gelüftet, aber die
Teufel aus der Flasche – einmal ertappt – sind weder mit strengeren Auflagen
und schon gar nicht mit einer kürzeren Leine zu bändigen. Was also tun? Oder
gibt das viel beschworene Grundgesetz noch ein wenig Spielraum her?
Dank dem Autor für seine
Zivilcourage! (PK)
Rolf Gössner, „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“, Preis: 6,99 €, Knaur eBook, München 2012, 320 Seiten; Link zum downloaden für 6,99 Euro: http://bit.ly/J8XWNC oder bei anderen online-Buchhändlern.